Metoo, Female Empowerment, Feminism, Diversity, Equality… Alles bloß Worthülsen und omnipräsente Trendbegriffe der vergangenen Monate? Wie geht es weiter, nachdem die „#metoo“- Bewegung etwas aus dem Fokus gerückt ist? Genau mit Fragen wie diesen beschäftigt sich auch Denise Stellmann.
Doch wie beschreibt man jemanden ( der ebenfalls nicht auf Schubladen-Denken steht) mit den passenden Worten ohne sich in Begriffen, Klischees oder Berufsbezeichnungen zu verlieren und um einer Person ansatzweise gerecht zu werden? Vielleicht als ( auch wenn das- passend zu einigen nachfolgenden Themen- medial ausgelutschte Worte sein mögen): Bossbabe, Produzentin, Writerin , Theater-Director, Freundin, Tagesmama, kurzum als Frau die etwas bewegt. In vielen Bereichen und Facetten.
Die für andere und sich, sowie ihre Überzeugungen einsteht, nachdem sie diese gründlich abgewogen und reflektiert hat. Eine sensible und starke Frau, die zeitgleich bedacht ist und dennoch kein Blatt vor den Mund nimmt. Ein weibliches Role-Model, um es im derzeitigen Jargon zu sagen. Denise Stellmann hat keine Angst davor, sich mit den sogenannten menschlichen Abgründen, Tabuthemen und kontroversen Fragen auseinander zu setzen und ihre Rückschlüsse auch für andere zugänglich zu machen. Auf der Bühne des Hamburger Sprechwerks beispielsweise.
Nach “ My body my rules“, „My body my choice“, der #metoo“-Bewegung und vielen weltweiten Umbrüchen und Denkanstößen wurde vieles aufgewühlt, teilweise lediglich mit Worten, die zu Werbezwecken missbraucht wurden bzw. ausgelutscht waren. Besteht deiner Meinung nach darin die Gefahr, dass das eigentliche Thema in den Hintergrund rücken bzw. die Debatte zweckentfremdet werden könnte? Ich bin kein Fan von Begrifflichkeiten. Das kann so unterschiedlich interpretiert werden. Allein die Aussage: „Ich bin Feministin“, ist für dich vielleicht etwas ganz anderes als für mich. Besonders mit dem Begriff „Feminismus“ tue ich mich manchmal schwer. Equality, Gleichberechtigung etc.- wenn Feminismus heißt, „wir machen keine Unterschiede mehr und stehen dafür gerade“, dann bin ich dabei. Doch ich verweigere mich diesen u.a. “ Männer sind privilegiert und wissen das nicht“- Aussagen. Begrifflichkeiten, gendergerechte Sprache… es ist nicht möglich, es allen Recht zu machen. Es gibt da strenge Regeln, grade in meinem Job. Dabei sind Begrifflichkeiten häufig sehr kurzlebig. Dabei darf es nicht bleiben, es muss sich weiter bewegen. Wenn man wie mit der „MeToo“-Bewegung ein wichtiges Fass aufmacht, dann mit der Bereitschaft, das in aller Konsequenz zu tun. Es wäre toll, wenn hinter den Begrifflichkeiten mehr Inhalt stecken würde. Noch bin ich am Überprüfen, Reflektieren und habe noch nicht herausgefunden was es braucht. Begrifflichkeiten sind für den Moment egal, mir ist der Inhalt wichtig.
Worin liegt deiner Meinung nach der Schlüssel für ein vorbehaltloses Miteinander ( ohne Scheu davor“etwas falsch zu machen“)? Denise: Empathie ist ein ganz ganz wichtiges Wort. Mitfühlen, sich selbst fühlen. Viele Menschen glauben, es fehle an Bildung. Darum haben wir ein Problem mit einem „gesunden Miteinander“. Ich glaube es fehlt tatsächlich an der Fähigkeit sich einzufühlen. Und da liegt für mich (glaube ich) das Problem. Ich glaube zusätzlich, dass wir viele Dinge nicht hinterfragen weil wir gewisse Dinge eben so gewohnt sind. Uns niemand gesagt hat, dass wir uns vielleicht auch täuschen. Ich glaube, dass es zu einem „guten Miteinander“ gehört, dass wir Menschen dazu einladen, zu reflektieren. Ohne dass wir abwerten und bewerten. Wenn z.B. jemand eine Lesbe fragt:“ Wer ist denn der Mann in eurer Beziehung?“schaue ich mir erstmal an wer es gesagt hat. Um es abschätzen zu können: ist es wirklich ein ätzender Mensch oder jemand der es nicht besser weiß und den ich im besten Fall dann aufklären kann. Auch wenn mich diese Frage irgendwie nervt und ich sie schon hundertmal gehört habe. Die andere Person stellt sie vielleicht zum ersten Mal.
Empathie ist meine Vorstellung von Bewegung. ich glaube,wenn wir da konsequent dranbleiben würden, dass menschen miteinander sicherer werden würden. Der Diskurs ist wichtig. Austausch, Informationen zuschieben. Das baut Ängste ab. Wer aufgeklärt ist, hat im besten Fall keine Angst.
Gleichberechtigung sollte selbstredend und selbstverständlich sein, so dass man es garnicht erst erwähnen müsste oder in Gruppen denkt bzw.einzelne hervorhebt. Die weltweite Realität sieht je nach Region und Szene jedoch noch sehr unterschiedlich aus. Was kann jeder Einzelne tun, um zu einem neuen Bewusstsein beizutragen? Nicht alles sofort kategorisieren oder bewerten wollen. Dinge ganz und vollständig angucken und nicht bloß einen Fetzen aus einem Gespräch nehmen und dann bewerten. Mehr Nachsicht haben mit Dingen, die Nachsicht brauchen und mehr Konsequenz haben in Dingen, die Konsequenz verlangen, z.B. Zivilcourage. Wenn wir etwas verändern wollen, dann am besten erstmal in unserem Kosmos.
Genauso ist es schön, die Leichtigkeit nicht zu verlieren. Einige bestehen auf die sogenannte „gendergerechte Schreibweise“, dass z.B. anstelle des geschlechtsneutralen „man“ prinzipiell auch „Frau“genannt wird usw…
Vor ein paar Jahren habe ich noch nicht darauf geachtet, ob ich gendergerecht schreibe. Auch ich bin gewachsen. Auch ich werde informiert. Mittlerweile liegt meine Achtsamkeit darauf. Allerdings ist Sprache für mich nicht nur Politik. Sprache ist auch Kunst. Wenn ich innerhalb meiner Texte penibel darauf achte, gendergerecht zu bleiben, verliert sich häufig die Melodie, der Bogen, die Dramaturgie. Ich glaube tatsächlich, dass es mitunter an der deutschen Sprache liegt, die das manchmal nicht so einfach macht.
Wie kam es zur Produktion und Umsetzung von „Bodyrule“( im Oktober im Hamburger Sprechwerk zu sehen ;)) ?
Das meiste worüber ich schreibe, sind kontroverse Themen. Nachhaltige Themen, bei denen ich das Gefühl habe, hier muss Bewegung rein. Hier gibt es noch Redebedarf. Hier sind wir noch nicht weit genug bzw. wir haben noch nicht mal angefangen. Bodyrule ist entstanden, weil ich es spannend finde wie Menschen zu dem Thema Übergriffigkeit stehen, bzw.wie unterschiedlich da die Wahrnehmungen sind. Ich bin ein Fan von Perspektivwechsel, bin da auch streng mit mir und gebe mich nicht zufrieden mit nur einer Haltung. Auch meine subjektive Meinung ist nicht die einzig wahre, ich wechsle immer wieder die Richtung um herauszufinden, welche Fragen da noch sind. Und das kann man nur, wenn man sich alle möglichen Richtungen angeguckt hat, auch wenn einem dabei manchmal schwindelig wird. Doch das ist meine Herangehensweise.
Körperliche Übergriffigkeit ist mir ein wichtiges Anliegen. Ich habe gemerkt wie wahnsinnig unterschiedlich die Grenzen und Wahrnehmungen da sind. Es ist manchmal erschreckend wie weit weg wir sind von: “ Das ist nicht in Ordnung“- Ich spreche hier nicht ausschließlich von irgendwelchen Idioten sondern auch von Menschen aus dem direkten Umfeld. Zum Beispiel unter Kollegen: „Ein Klaps auf den Po ist doch nicht so schlimm, komm“. Einige Menschen wollen unverständlicherweise nicht von ihren Gewohnheiten abrücken. Seit durch die MeToo-Bewegung ein Fass aufgemacht wurde ( und es muss nicht „Metoo“, sondern vllt.Übergriffigkeit genannt werden, bei Männern und Frauen), haben sich Dinge in Bewegung gesetzt. Es stellte sich mir die Frage: Was ist denn in unseren Köpfen passiert? Was hat sich verändert? Zum Beispiel wenn ich in einem Club bin und flirte, gibt es ein Risiko, dass ich das falsch interpretiere, weitermache, der andere es nicht mag ( dies aber nicht zeigt) und es plötzlich eine Anzeige gibt. Die Wahrnehmungen sind so unterschiedlich. Es steht die Frage im Raum, wie sieht es mit der Eigenverantwortung und Grenzen ziehen aus? Wie soll man das alles einschätzen, wie funktioniert das Ganze? Es ist megaspannend. Einige sehen Hinterherpfeifen als übergriffig an, andere wollen Reaktionen provozieren. Zudem gibt es noch die Frauen aus den eigenen Reihen, die sagen: „Selber Schuld, wenn sie nichts sagt und sich nicht wehrt/ sich so anzieht“- was ist das?! Es gibt die sogenannte Pick-Up-Artist-Szene, auch da verschwimmen Grenzen und Wahrnehmungen gefährlich. Was ist richtig, was ist falsch? Für Bodyrule habe ich mich in die Köpfe von Menschen begeben, mit denen ich sonst keine zwei Sätze wechseln würde. Ich bin in Abgründe getaucht. Gibt es die eine Wahrheit, wer hat Recht? Geht es um Fühlen ob etwas in Ordnung ist oder nicht? Darf ich weitermachen wenn mein Gegenüber keine Abwehr suggeriert? Ist das ein Freifahrtschein? Bodyrule lädt zu einer Dosis Reflektion ein. Eine fiktive Geschichte mit nicht fiktivem Inhalt. Ziel ist es unter anderem, einen Tick achtsamer miteinander zu sein ohne die Leichtigkeit zu verlieren. Frauen stärken ohne Anklage.
Wer und was inspiriert dich? – Was mich inspiriert? Frauen. Freundinnen. Wahnsinnig kluge Menschen. Der Austausch mit ihnen ist meine größte Inspirationsquelle. Ansonsten meine Ideen, meine Fantasie und was mich antreibt. Und der Drang, Dinge zu bewegen, die in Bewegung gehören.
Sowohl im Privat-als auch im Geschäftsleben sind noch Rollenklischees und überholte Denkmuster verbreitet. Zum Beispiel eine „weibliche“Frau, die sich in einer Geschäftswelt durchsetzen möchte, die mit eher männlichen Attributen in Verbindung gebracht wird. Wie kann man da für eine Verbindung sorgen? „Männliche Attribute“- Ich wünschte mir, es gäbe diese Kategorisierung nicht. Weil wir so großgezogen wurden. Das gibt es nur solange, bis es einem klar wird. Verglichen mit einer Situation: Jemand sagt solange „Einzigste/r“ , bis jemand ihm sagt, dass es das Wort garnicht gibt, sondern es „Einzige/r“ heißt. Danach weiß ich das und dann ist es in der Zukunft völlig klar. Dinge können sich nicht sofort verändern im Außen. Erstmal muss etwas in den Köpfen passieren. Das muss erst einmal entstehen. Dafür bedarf es mehr Information, Konsequenz und Zeit. Fehlhaltungen weniger Raum bieten. Hier ein anderes Beispiel: Ich bin das typische voll krasse Mädchen-Mädchen, dass sich ziert und sagt, es könne das doch nicht machen. Dabei möchte es gerne selbst den Tisch aufbauen. Es gibt natürlich so Kategorien. Typische Männchen und Weibchen gibt es bestimmt. Dennoch gibt es tausend andere Sachen die auch noch daneben stehen. Es braucht doch keine Balance: Ich kann doch heut im Jogger zum Penny, morgen in den Jimmy Choos über den Red Carpet zur Theater-Premiere. Genau wie Männer auch in den Penny und zur Premiere gehen. Völlig Lachs. Wofür Balance? Für wen ist das wichtig?- Es geht doch darum, dass ich ich sein kann. Es geht um Entfaltung. Insofern erübrigt sich das für mich-Jeder kann doch tun, was er will. Kein „Entweder-Oder“. Es ist schade, dass es das heut noch gibt. Doch ich denke, wir sind da auf einem guten Weg.
Jeder sollte das tragen, was ihm gefällt. Meiner Meinung nach, kann man sich auch für sich selber so stylen wie man es möchte, ohne eine Intention zu verfolgen. Einfach für sich selbst. Falls jemand sich dadurch amgeblich zur sexuellen Belästigung eingeladen sieht, ist das seine Interpretation/ sein Problem, was er mit sich ausmachen sollte. Leider untermauern einige Menschen (männlich und weiblich) diesen Vorwand und unterstützen dadurch das sogenannte „Victim-Blaming“. Wie stehst du zu der Annahme einiger Personen, dass die Kleidung dabei eine große Rolle spielt? Eines sollte mal ganz klar sein:Nur weil ich mir einen kurzen Rock angezogen habe, ist es nicht legitim, eine Straftat an mir zu begehen. Selbst wenn eine Frau in der Öffentlichkeit an sich herumspielen würde, hätte niemand das Recht,sich an ihr zu vergehen. Niemand niemand niemand. Diese Kleidungsfrage macht mich wütend, wirklich. Eine Frau die sich schick macht, lädt doch nicht dazu ein, dass man über sie herfällt. Was ist das für eine Überzeugung?! Interessanterweise würde das niemand zu einem Mann sagen, der sich schick macht. Unterm Strich- und das ist das Tragische- erzählen wir, dass die armen Männer ihre Hosen nicht zulassen können, wenn eine Frau einen kurzen Rock anzieht. Es tut mir leid, aber ich halte mehr von Männern.
I dont give a fuck, ich ziehe das an, was ich anziehen möchte.
Dein Ratschlag für die Leser: Ich rate Menschen dazu, mutiger zu werden und das Risiko einzugehen, sich im Zweifel getäuscht und doch eingemischt zu haben. Jaa- mutiger zu werden…
Und eine weitere Lebensweisheit… Meine Lebensweisheit ist: Da wo die Angst wohnt, da geht´s lang